Aller Anfang ist schwer oder auch: Was lange währt, wird endlich gut!

von Kristina Zimmer

Veröffentlicht am
6.12.22

Studierende

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Aller Anfang ist schwer, oder wie die Französin in mir sagen würde: „Tous les débuts sont difficiles.“ Aber fangen wir doch zunächst einmal mit dem Ursprung meiner Begegnung mit Marcel Proust und seinem Werk Du côté de chez Swann an.

Marcel Proust… ganz offen und ehrlich? Diesen Namen hatte ich zwar schon gehört, aber das war’s dann auch schon. Was er geschrieben und welche Inhalte er behandelt hat, wollte ich dann aber doch herausfinden, weshalb ich mich dazu entschloss, das Seminar zu belegen. So schlug ich also frei von jeglichen Vorstellungen und Erwartungen die erste Seite des Buches auf, und schon der erste Satz, wie ich es im Seminar dann später lernte, hatte es in sich. Ohne jegliche externe Hilfe dachte ich mir nicht sonderlich viel dabei, aber innerhalb des Seminars lernte ich schnell, dass alleine im ersten Satz des Werkes „Longtemps, je me suis couché de bonne heure“ mehr Informationen stecken als ich vermutet hätte: Erstens war völlig unklar, welche Zeitangabe sich hinter „Longtemps“ versteckt, genauso wenig war definiert, welche Uhrzeit „de bonne heure“ wohl meinte. Denn wie wir alle wissen, ist für den Einen 21 Uhr am Abend bereits spät, ein Anderer jedoch freut sich, wenn er vor 2 Uhr in der Nacht seinen Schlaf findet. „Na super, relative Angaben, die auf reiner Subjektivität basieren…“, dachte ich mir. Was allerdings klar war, ist, dass es sich hierbei um einen männlichen Erzähler handelt – wie gut, dass es im Französischen das passé composé gibt – und dadurch nicht alles vollkommen mysteriös und rätselhaft bleibt.

Aber nun zurück zu meiner ersten Leseerfahrung mit Proust: Durch die Erkenntnis, dass vieles nur zwischen den Zeilen steht, dachte ich mir: „Das kann ja heiter werden!“ und mir wurde schnell der Wind aus den Flügeln genommen, als ich dann sah, welche Fähigkeit Marcel Proust besitzt, seine Sätze zu verschachteln, und eins sei gesagt: Das hat er wirklich perfektioniert! Es war also keine Seltenheit, dass ein einziger Satz gut und gerne mal über mehrere Zeilen – ja, sogar fast ganze Seiten – reichte. Wer bis dato also an Semikolons vorbeigekommen ist, wird bei Proust schnell realisieren, dass es bei ihm regelrechte Herdentiere sind. So fiel es mir also durchaus schwer, nicht in Verlegenheit zu geraten, die Sätze bloß zu überfliegen, anstatt sie Wort für Wort zu studieren und zu analysieren. Man könnte sogar meinen, dass das Seminar mich buchstäblich gerettet hat und mir Proust und sein Werk doch noch sympathisch wurden, ganz zur Überraschung des ersten Eindrucks. Denn nachdem knapp hundert Seiten vergingen, bis sein „altbekanntes“ drame du coucher endlich ein Ende nahm und zunehmend Handlung einsetze, entwickelte ich umso mehr Begeisterung für sein Werk. Zugegebenermaßen war ich dennoch etwas verstört von der Metaphorik, die der Weißdorn mit sich brachte, und auch die Szene zwischen Mme Vinteuil und ihrer Freundin, die durchaus sadistische Züge enthält, ließ mich nicht unberührt. Die darauffolgende Liebe zwischen Swann und Odette hatte es ebenfalls in sich, und schnell lernt der Leser, dass Liebe niemals ein rein positives Gefühl bleiben wird, sondern immer verbunden mit Eifersucht ist. – Ach Marcel, sei doch mal etwas optimistisch!

Dennoch kann ich eins sagen: Jedes Mal, wenn ich den Seminarraum verließ, dachte ich mir: „Verrückt! Auf diese oder jene Deutung wäre ich im Leben nie alleine gekommen!“ Und Sitzung für Sitzung stieg meine Vorfreude auf das Seminar, um weitere Aspekte von Proust auf seiner Recherche du temps perdu zu entdecken. Mancherlei Parallelen konnte ich außerdem zu mir selbst entdecken, die ich mit dem Autor teilte – so beispielsweise, dass das Einschlafen nicht immer so funktioniert, wie man möchte, und dass sich Erinnerungen niemals bewusst aufrufen lassen, sondern witzigerweise in den Momenten erscheinen, wo man vielleicht am allerwenigsten damit gerechnet hätte.

Heute – nach insgesamt neun Sitzungen – kann ich behaupten, dass es sich manchmal durchaus lohnt, auf die Zähne zu beißen und „durchzuziehen“, denn wer hätte anfänglich gedacht, dass ich zu folgendem Entschluss kommen werde: Proust kann Spaß machen, vor allem innerhalb eines Seminars, wo man permanent die Chance hat, über Inhalte zu diskutieren und wo einem klargemacht wird, dass sich hinter manchen Szenarien so viel mehr versteckt, als man es je hätte erwarten können…

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