„Es gibt keine schöne Erzählung davon, wie es ist arm zu sein. Diese Erzählung ist immer kompliziert und moralisch, es ist immer eine Erzählung von Verzicht“

Interview mit der Schriftstellerin Anke Stelling

Veröffentlicht am
7.11.2022

Gregor Schuhen

RPTU in Landau

Lars Henk

RPTU in Landau

Lea Sauer

RPTU in Landau
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Die Schriftstellerin Anke Stelling ist bekannt für ihren gesellschaftskritischen Blick auf verschiedene Milieus der Gegenwartsgesellschaft. Ihr letzter Roman Schäfchen im Trockenen (2018) wurde u.a. mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Im Interview unterhielten wir uns allerdings nicht nur über die Klassenfrage, sondern auch über ihren Schreibprozess und ihre kommenden Projekte. Ein äußerst erhellendes Gespräch, denn es bietet einen genauen Einblick in die Arbeit einer Autorin, bei der der eigene Erfahrungsraum immer auch mit politischen Fragen verknüpft ist.

Guten Tag, Frau Stelling, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Wir beschäftigen uns in unserem Forschungsprojekt „Bourdieus Erben“ schwerpunktmäßig mit soziologischen Konzepten und Literatur, in der das Thema Klasse behandelt wird. Deswegen zunächst einmal die offensichtlichste Frage: Wie ist das Thema Klasse zu Ihnen gekommen? Und was interessiert Sie daran so sehr?

Seit ein paar Jahren bauen meine Romane aufeinander auf. Das kann man in der Veröffentlichungsgeschichte nicht unbedingt nachvollziehen, weil zwischen den Romanen Bodentiefe Fenster (2016) und Schäfchen im Trockenen (2018) auch der Roman Fürsorge (2017) erschienen ist, der eigentlich 2009 entstand. Das Thema Klasse hat sich dann aus der Rezeption von Bodentiefe Fenster ergeben. Dort spielt die Klassenfrage auch schon eine Rolle, denn Sandra, die Protagonistin, erzählt dort bereits davon, wie sie mit ihrer Position in der Hausgemeinschaft hadert und es einige Aspekte gibt, die sie zu einer Außenseiterin machen. In der Rezeption des Romans ist das für mein Gefühl zunächst einmal total untergegangen. Bis ich dann in einem Interview mit Susanne Messmer für die taz zum ersten Mal explizit ausgesprochen habe, dass es dort um die Klassenfrage geht. Und jetzt habe ich übrigens wiederum das Gefühl, dass in der Rezeption meines Romans Schäfchen im Trockenen die Geschlechter- bzw. Sexismusfrage, die dort durchaus aufgeworfen wird, untergeht. Zumindest steht sie in der Rezeption nicht wirklich im Vordergrund. Der kommende Roman wird sich dem deshalb noch einmal stärker annehmen.

Heißt das, die Rückmeldungen, die Sie in der Rezeption Ihrer Bücher erfahren, fließen in Ihr Schreiben ein und beeinflussen somit immer auch die zukünftigen Romane?

Ja, der Austausch über die Texte ist mir sehr wichtig. Dann merke ich, was mich an den Texten eigentlich noch interessiert und mir fallen auch die Themen auf, die zwar in den Texten angelegt sind, aber an die ich mich vorher noch nicht herangetraut habe. Das klingt jetzt vielleicht nach Schreiben als Therapie. Und ich würde da im Grunde sogar sagen: Natürlich Schreiben als Therapie. Manchmal traue ich mich einfach bestimmte Sachen noch nicht – ohne zunächst einmal zu merken, dass ich mich nicht traue. Ich traue mich also so wenig, dass sie mir gar nicht in den Sinn kommen. Und aus diesem Grund glaube ich, dass mein Schreiben immer auch dialogisch ist, sowohl in Bezug auf das Lesepublikum als auch auf das Feuilleton – und dies auch schon im Entstehen der Bücher. Ich habe schon öfter erwähnt, dass ich beim Schreiben ganz eng mit der Lektorin Daniela Plügge zusammenarbeite. Auch da schon ist das Reden über den Text für mich sehr wichtig.

Gab es neben dem Austausch mit dem Lesepublikum und den Rückmeldungen durch die Rezeption Ihrer Romane oder dem Austausch mit Daniela Plügge für Sie auch eine Art persönlichen Eribon-Moment, der Ihr Schreiben beeinflusst hat? Im Jahr 2016 ist Rückkehr nach Reims ja in Deutschland erschienen.

Ja. Ein schwuler Freund, der aus großbürgerlichen Verhältnissen stammt, hatte mir das Buch empfohlen. Ich lese eigentlich, muss ich zugeben, wenig Sachbücher und auch soziologische Bücher wie diejenigen von Bourdieu kannte ich nur dem Titel nach. Ich arbeite schon mit soziologischem Interesse, aber in der Regel nicht auf der Grundlage von Sachtexten oder einer wissenschaftlichen Lektüre. Jetzt, wo ich gerade an einem Eheroman arbeite, denke ich beispielsweise die ganze Zeit, ich sollte Erich Fromms Die Kunst des Liebens (1956) lesen. Ich habe es auch schon hier liegen, aber irgendwie will ich nicht. Ich weiß nicht genau, was das bei mir ist, ich habe einfach das Gefühl, so funktioniert mein Schreiben nicht.

Wie funktioniert Ihr Schreiben dann?

Wie Peter Bichsel sagen würde: Das ist alles von mir gelernt. (lacht) Alles zum Baugruppenmilieu habe ich beispielsweise selbst recherchiert, da ich selbst in einem Genossenschaftshaus wohne. Das ist zwar nicht dasselbe wie eine Baugruppe, aber es ist wahrscheinlich in etwa die gleiche Klientel. Es ist auf jeden Fall selbst recherchiert, selbst erlebt, selbst beobachtet. Ich wüsste gar nicht, wie ich wirklich thematische Literatur machen sollte, das käme mir komisch vor. Im Grunde ist es für mich genau umgekehrt. Ich erzähle eine Geschichte bzw. gehe schreibend einer Frage nach und dann erst stellt sich heraus, welche Themen darin stecken. Und weil mich politische oder gesellschaftliche Themen interessieren, finden diese sich dann später auch in den Texten wieder. Aber ich gehe nicht her und nehme mir vor, ich schreibe jetzt ein Buch über z.B. die Wohnungsfrage in Berlin.

Gibt es Vorbilder oder Bücher bzw. Autor*innen, die Sie in den letzten Jahren inspiriert haben?

Alles, was ich schreibe, hat ganz viel mit meiner Lesebiografie zu tun. Ich habe ganz lange, eigentlich bis zum Ende der Schule, ausschließlich Kinder- und Jugendliteratur gelesen. Meine Mutter hatte eine Buchhandlung. Das war ein großes Privileg, weil ich dadurch die seltsamsten Sachen bekommen konnte. So hatte ich einen sehr viel breiteren Zugang zu Kinder- und Jugendliteratur, z.B. auch zu Büchern aus kleineren unabhängigen Verlagen. Später habe ich dann vor allem US-amerikanische und kanadische Autorinnen gelesen, wie beispielsweise Marge Piercy, die, ebenso wie Margaret Atwood, eine wichtige Schriftstellerin für mich ist. Piercy hat einen Roman geschrieben, den man heute wohl als Autofiktion bezeichnen würde, Donna und Jill  (1982). Dies ist im Übrigen ein sehr politisches Buch, denn es geht darum, wie Marge Piercy als Arbeiterkind Abitur macht, dann zum College geht, eigentlich aber immer Schriftstellerin werden will. Dabei wird auch von ihren ersten Beziehungen erzählt und das Thema Abtreibung bzw. die politischen Kämpfe um das Abtreibungsrecht in den USA in den 1960er Jahren behandelt. Erst in den letzten Jahren habe ich verstanden, dass auch diese Autorinnen aus ihrer eigenen Biografie schöpfen. In der deutschen Literatur habe ich das schon früher gesehen, wie zum Beispiel in Friedrich Kröhnkes P 14. Auch dieses Buch war sehr wichtig für meine eigene Lesebiografie. P 14 ist, für diejenigen die ihn nicht kennen, 1992 erschienen, spielt allerdings Ende der 1980er und ist aus der Sicht eines Westberliner Pädophilen erzählt, der eine Beziehung mit einem Ostberliner Jungen aus der Platte führt. Auf diese Beziehung projiziert der erzählende Protagonist auch seine ganze Sehnsucht nach der DDR und Ostberlin, sodass er schließlich, als die Mauer fällt, auch sein, naja, ‚Pädophilenparadies‘ untergehen sieht. Das ist ein unglaublicher Roman! So ein Buch könnte heute gar nicht mehr erscheinen. Ich erzähle das, um zu beschreiben, wie ich lese: Und zwar ganz stark identifikatorisch. Ich hatte damals in P 14 etwas gefunden, von dem mir lange nicht klar war, was es eigentlich ist. Später habe ich realisiert, dass es der Umstand war, dass sich Kröhnke da buchstäblich etwas Unglaubliches getraut hat. Für andere war es damals ein Skandal, für mich allerdings war es als Jugendliche einfach eine Geschichte. Der zweite deutsche Autor, der für meine Lesebiografie ganz wichtig war, war Andreas Mand. Mich hat damals sehr interessiert, wie Mand an seinem Leben entlangschreibt und es dann zu Literatur formt. Das ist für mich ein ganz wichtiger Teil der Welterfahrung.

Könnte man demnach sagen, dass die Literatur am wichtigsten für Sie war, die autobiografische Züge trug?

Rückwirkend, ja. Zunächst war mir das allerdings gar nicht so bewusst. Doch ich glaube, für mich war es auch eine Art der Selbstermächtigung zu sehen, dass man das überhaupt darf und es nicht sofort als eitel oder reine ‚Befindlichkeitsprosa‘ bzw. ‚Erfahrungsliteratur‘ abgestempelt wird. In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich die Bewertung auch etwas verändert und diese Art der Literatur wurde aufgewertet. Ich glaube, fiktionales und autobiografisches Schreiben gegeneinander auszuspielen, wäre mir zu extrem. In meinen eigenen Texten ist es beispielsweise so, dass der autobiografische Anteil eben auch immer nur einen Teil ausmacht. Meine Figuren Resi oder Sandra sind nicht deckungsgleich mit mir. Sie sind mir nahe und ich kann über sie meinen eigenen Fragen nachgehen, sie teilen biografische Eckpunkte mit mir, aber ich nehme mir auch die Freiheit, ihnen auch andere Sachen mitzugeben. Aus diesem Grund schreibe ich keine Reportagen. Auch wenn es manches Mal Vorbilder für die Figuren gibt, kann ich mir die Geschichte nicht von jemand anderen autorisieren lassen. Das ist unter anderem ja auch Thema in Schäfchen im Trockenen.

Oft wurde gerade Schäfchen im Trockenen ja autobiografisch gelesen. Es hieß, dass es ein dokumentarischer Stil sei und aus diesem Grund realistisch. Sehen Sie das als Fehllektüre?

Ich würde mir nie anmaßen, diese Interpretation als Fehllektüre zu bezeichnen. Es ist für mich allerdings weiterhin ein großes Thema und ein unlösbares Problem: Wie damit verfahren, dass ein Text so wahnsinnig viel Autorität besitzt und es dann so aussieht, als sei dies nun die Wahrheit? Zurecht löst das Aggressionen bei den Lesenden aus, die sich wiederzuerkennen glauben.

Wie treffen Sie dann Formentscheidungen? Entwickelt sich die Form organisch während des Schreibprozesses oder entscheiden Sie sich bewusst für eine Form, wie beispielsweise die Briefform in Schäfchen im Trockenen?

Im Fall von Schäfchen im Trockenen ist sie einfach entstanden. Ich hatte schon vorher Textteile, in denen es auch diese Du-Ansprache gab, wie beispielsweise in „Botschaft an alle alten Freunde oder „Vorwurf an die Generation meiner Mutter. Ich habe bemerkt, dass sich dieser wütende Ton gut reproduzieren lässt, aber ein Buch als einen einzigen rant zu verfassen, trägt meiner Meinung nach nicht. Weil ich vielleicht gar nicht unbedingt durchgehend so wütend schreiben will. Diese Idee, dass man als jüngere Generation nicht genügend über die Machtverhältnisse aufgeklärt bzw. darauf vorbereitet wurde, ist bereits in Bodentiefe Fenster angelegt. In Schäfchen im Trockenen wird diese dann fortgeführt, denn Resi, die vierfache Mutter, übernimmt diese Aufklärungsarbeit nun. So kam die Idee zu einer Aufklärungsrede an die Tochter. Das ist während des Schreibens entstanden. Ich glaube, mein Schreiben ist immer ein Prozess von Produzieren und Verwerfen.

Sowohl in Bodentiefe Fenster als auch in Schäfchen im Trockenen taucht das linksliberale Milieu auf. Gerade das wurde ja in jüngerer Zeit beispielsweise von Sara Wagenknecht als Milieu der „Lifestyle-Linken“ kritisiert. Warum gibt gerade dieses Milieu Ihrer Meinung nach literarisch so viel her?

Ich glaube, es ist so interessant für mich, weil dort eine riesige Lücke klafft zwischen dem moralischen Anspruch und der Realität. Und diese Lücke erzeugt Tabus und blinde Flecken. Diesen Widerspruch, d.h. in diesem ‚falschen‘ Leben leben zu können, hält man nicht aus ohne Verdrängungsleistung. Das ist spannend. Und immer wieder auch lustig. (lacht) Ich glaube, dass mir diese blinden Flecken durch meine Herkunft nicht ganz so blind sind, zumindest flackern sie immer wieder mal kurz auf. Es ist allerdings nicht so, dass ich mir dieses Milieu wie eine Art exotisches Tierchen gesucht habe, das ich dann untersuche – ich bin ja selbst dieses exotische Tierchen. Immer wieder gibt es da diesen Vorwurf der Nestbeschmutzung. Ganz nach dem Motto: Wenn es dir bei uns nicht gefällt, dann geh doch. Doch auch wenn ich jetzt Teil des Milieus bin, finde ich es immer noch wichtig zu thematisieren, von welcher Seite aus man in dieses Milieu gelangt ist. Ist man auf- oder abgestiegen?

Sind Bildungsaufsteiger aus diesem Grund vielleicht die besseren Soziologen, weil sie eben, wie Sie es gerade beschrieben haben, genau diese blinden Flecken erkennen?

Ja. Obwohl es aus meiner Sicht auch sehr interessant wäre, wenn jemand auch aus einer privilegierten Position heraus das Thema Klasse bearbeiten würde. Doch stellt sich da natürlich die Frage: Muss man das? Was triebe jemanden aus den wohlhabenderen Schichten an, die Verhältnisse entlarven zu wollen? Für diesen Antrieb muss es ja auch erst einmal ein Unbehagen geben.

Fehlt es diesen, um einen französischen Begriff zu nennen, ‚Bobos‘ dann vielleicht auch an der Fähigkeit zur Selbstkritik und vor allem Selbstironie?

Total. Ich hätte eigentlich erwartet, dass dies stärker vorhanden ist, aber bei den meisten, die ich bisher aus diesem Milieu kennengelernt habe, ist dies tatsächlich nicht der Fall. Diese Leute denken von sich selbst zwar nicht, dass sie keinen Humor haben oder nicht zur Selbstironie fähig sind, doch ist dies genau mein Eindruck. Ich selbst bin sicher auch viel weniger dazu fähig, als ich glaube, doch kann ich mich besser darin üben, weil ich immer eine Figur erschaffen kann, die mir sehr ähnlich ist. Dabei gehe ich viel stärker mit mir selbst ins Gericht als mit den anderen. Christa Wolf nennt dies auch ihr Pfand, das es ihr erlaubt, diese Strenge dann auch auf andere anzuwenden.

Um ein anderes Thema anzuschneiden: Oft geht es in Ihren Texten auch um Mutterschaft. Mütter sind gerade in den jüngeren Autosoziobiografien ja gerade en vogue. Édouard Louis hat beispielsweise in Combats et métarmorphoses d’une femme (2021) über seine eigene Mutter geschrieben, ebenso wie Annie Ernaux in Une femme (1987), Ocean Vuong in On Earth We’re Briefly Gorgeous (2019) oder zuletzt Daniela Dröscher in Lügen über meine Mutter (2022). Gibt es da eine Verbindungslinie zwischen Mutterschaft und dem Thema Klasse?

Ein Aspekt ist sicherlich, dass das Thema Klasse und Aufstieg ein Generationenprojekt ist. Ganz nach dem Motto: Die Kinder sollen es einmal besser haben. An Daniela Dröschers Roman Lügen über meine Mutter (2022) finde ich interessant, dass sie dort insbesondere auch über die Mutter als dicke Frau schreibt. Ich bin wahnsinnig gespannt auf diesen Roman, weil ich das kenne. Das ist beispielsweise auch einer der Unterschiede zwischen Resis Mutter und der Mutter ihres langjährigen Freundes Ulf in Schäfchen im Trockenen. Resis Mutter gehörte zwar nicht zur Unterschicht, aber auch sie ist bereits eine Aufsteigerin gewesen. Sich fit halten und auf sein Äußeres achten zu können, ist auch eine Milieufrage, allein schon aufgrund der Ressourcen. Wenn man täglich acht Stunden oder mehr arbeitet, auch körperlich, wie es beispielsweise auch bei einer Buchhändlerin wie meiner Mutter der Fall ist, dann gehst du danach nicht mehr zur Gymnastik oder ins Fitnessstudio. Abgesehen davon ist zudem das Thema Care-Arbeit immens wichtig. Mittlerweile habe auch ich mir angewöhnt zu sagen, dass ich eine Arbeiterin bin, ganz einfach weil auch Care-Arbeit eine sehr körperliche Arbeit ist. Doch auch hier gibt es je nach Milieu Unterschiede. Jemand aus dem Großbürgertum wird sich vermutlich genug Personal leisten können, um sich nicht körperlich kaputtzumachen durch Care-Arbeit. Zudem verbergen sich in der Frage danach, wer die Care-Arbeit leistet, auch weitere Themen, wie Rollenkonflikte und der ganze Gender-Trouble. Deswegen finde ich es politisch sehr wichtig darüber zu schreiben. Zudem bin ich in diesem Bereich auch regelrecht Expertin und lese solche Geschichten auch gerne. Ich finde es cool, wenn in einem Roman genau beschrieben wird, wie jemand putzt. (lacht) Im nächsten Roman rückt das Thema Care-Arbeit deswegen auch noch einmal mehr ins Zentrum.

Es gibt zudem ja auch dieses Klischee, dass Menschen aus ärmeren Schichten viele Kinder haben. Darin steckt also neben den politischen Fragen, die mit der Beschäftigung mit Care-Arbeit einhergehen, auch auf dieser Ebene die Klassenfrage. Oder würden Sie dies anders sehen?

Über diese Frage denke ich erst jetzt, nach der Veröffentlichung von Schäfchen im Trockenen und insbesondere nach der Veröffentlichung meines Kurzgeschichtenbandes Grundlagenforschung (2020) nach: Wie tickt die biologische Uhr und wie funktioniert diese Absicherung nach allen Seiten? Wie sieht ein gelingendes Frauenbild heute aus?

In einigen Kritiken zu Schäfchen im Trockenen liest man auch, dass mancher verwundert über den wütenden Ton der Protagonistin war. Hat diese Verwunderung Ihrer Meinung nach auch etwas damit zu tun, dass hier eine Frau Ihre Wut mitteilt?

Wütende Frauen gelten oft als unangenehme Geschöpfe – dieses Vorurteil spielt sicherlich eine Rolle. Ich glaube aber, dass die Ursache für die Verwunderung woanders liegt. Dieser American Dream, dass wir in einer durchlässigen Gesellschaft wohnen, in der jeder es schaffen kann, ist immer noch unglaublich präsent. Und es ist auch die angenehmere Erzählung. Es gibt keine schöne Erzählung davon, wie es ist arm zu sein. Diese Erzählung ist immer kompliziert und moralisch, es ist immer eine Erzählung von Verzicht.

Wir empfinden diese Komplexität, die Sie in Ihren Romanen darstellen, als eine große Qualität und danken Ihnen herzlich für das Gespräch, Anke Stelling!

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