Trajectoires. Lebenswege in der Romanistik

Partie III: Prof. Dr. Cornelia Ruhe im Interview

Veröffentlicht am
7.6.2024

Gregor Schuhen

RPTU in Landau

Lars Henk

RPTU in Landau

Lea Sauer

RPTU in Landau
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© Timo Volz

Kooperation statt Konkurrenz - Cornelia Ruhe über französische Literatur und die Zukunft der Romanistik

Warum entscheidet sich jemand ausgerechnet für eine Karriere innerhalb der französischen Literaturwissenschaft? Was fasziniert an dem Fach? Und wie kann die Zukunft der Romanistik aussehen? In unserer Interviewreihe „Trajectoires. Lebenswege in der Romanistik“ wollen wir genau diesen Fragen nachgehen. Die Antworten unserer Interviewpartner und -partnerinnen sind so vielseitig wie sie selbst und zeigen, wie lebendig unser Fach ist.

Nachdem wir zuletzt mit Prof. Dr. Joseph Jurt gesprochen haben, ist jetzt Prof. Dr. Cornelia Ruhe unserer Einladung gefolgt. Cornelia Ruhe ist Professorin für Romanische Literatur- und Medien­wissenschaften an der Universität Mannheim. In ihrer Dissertation untersuchte sie die Literatur der maghrebinischen Immigration in Frankreich, ihre Habilitationsschrift widmet sich der Rezeption russischer Literatur in Frankreich und Spanien zwischen 1880 und 1910. Im Interview erzählt sie uns von ihrem persönlichen Werdegang, spricht mit uns über jüngere literarische Genres wie Autosoziobiograhpie und Dokufiktion und lobt die Offenheit der Romanistik für neue Gegenstände und Zugänge.

Frau Ruhe, Sie stammen aus einer Romanistenfamilie, Ihre Eltern, Ihr Bruder und Sie sind Romanisten. War ihr Weg in die Romanistik gewissermaßen vorgezeichnet?

Vorgezeichnet war er nicht. Sicherlich waren die Begeisterung für die französische Sprache sowie die Affinität zur französischen Literatur von Beginn an sehr präsent. Das lag auch daran, dass wir als Familie eine Zeit lang in Algerien gelebt haben. Dort haben mein Bruder und ich Französisch gelernt. Wir hätten mit unseren Sprachkenntnissen ganz andere Berufswege wählen können. Für mich war aber tatsächlich relativ früh klar, dass ich französische Literatur studieren möchte. Dasselbe machen wie meine Eltern, also eine akademische Laufbahn in der Romanistik einschlagen, wollte ich zumindest anfangs jedoch nicht. Deshalb habe ich neben Französisch noch Englisch und Russisch auf Lehramt studiert. Das war Anfang der Neunziger nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine weniger originelle Entscheidung, als es heute vielleicht klingt. Meine Auslandsaufenthalte habe ich dann vor allem in Russland, in der Ukraine und in Usbekistan verbracht. Das hat mir allerdings auch gezeigt, dass die Slavistik nicht der Schwerpunkt meines beruflichen Lebens werden soll. Ich war lieber in Frankreich als in Russland oder der Ukraine, denn ich kannte die Sprache und die Literatur besser und auch sonst war das Leben dort in so gut wie jeder Hinsicht vertrauter.

Woher kam Ihr Interesse an der russischen Kultur?

In meiner Jugend gab es in Würzburg ein jährliches Filmfestival. Meine ganze Familie hat dort ehrenamtlich mitgearbeitet. Meine Mutter hat irgendwann angefangen, neben französischen Regisseuren auch russische Filmemacher einzuladen, deren Filme ich sehr spannend fand. Damit hat sich für mich ein riesiger Raum geöffnet, der gerade deshalb einladend war, weil ich ihn ganz allein entdecken konnte. Außerdem waren die Romane von Dostojevskij und Turgenev, die mein Bruder sich als Jugendlicher in einer Gesamtausgabe gekauft und mir dann ausgeliehen hatte, eine Entdeckung für mich.

Wie wurde im Hause Ruhe über Literatur und Film diskutiert?

Wir haben uns über Bücher und Filme ausgetauscht, haben gemeinsam diskutiert, wie man die Texte deuten könnte. Mein Bruder fand es, glaube ich, zum Teil sehr nervig, dass teilweise schon beim Frühstück, aber vor allem beim Mittag- und beim Abendessen über Filme und Literatur gesprochen wurde. Ich persönlich fand diese Diskussionen auch deshalb spannend, weil die Literatur ein gemeinsames Interesse gewesen ist, ein Zugang zur Welt. Sich über Literatur zu unterhalten hieß, mit meinen Eltern über persönliche aber auch politische Dinge zusprechen, ohne vordergründig zu persönlich oder politisch werden zu müssen.

Ging es dabei stets harmonisch zu?

Nein, nicht immer. Meine Eltern konnten sich sehr ordentlich über Texte streiten. Ich erinnere mich noch, dass es besonders intensive Auseinandersetzungen über die Interpretation mancher Texte von Robbe-Grillet gab, sehr viel später dann erhebliche Differenzen zu Houellebecqs Les particules élémentaires (1998). Auch an eine andere Auseinandersetzung über Literatur zwischen meiner Mutter und meinem Vater kann ich mich lebhaft erinnern. Mein Vater hat mir Laclos’ Briefroman Les liaisons dangereuses (1782) in die Hand gedrückt, als ich sechzehn Jahre alt war. Meine Mutter fand das eine wenig angemessene Lektüre für mein Alter, hat aber auch keine Anstalten gemacht, mir das Buch zu entwenden.

Wollen Ihre Kinder in Ihre Fußstapfen treten? Lesen sie gerne?

Mein Sohn ist jetzt achtzehn und möchte gerne Lehrer werden, für Englisch und Politik. Er liest nicht gerne, was mich betrübt, weil es mir großen Spaß macht. Bei meiner Tochter ist es so, dass sie nach einer intensiven Harry Potter-Phase, gefolgt von einer intensiven Tribute von Panem-Phase, jahrelang gar nicht gelesen hat. Das hat sich inzwischen geändert. Sie liest viel, allerdings eher im englischsprachigen Bereich. Sie ist zwar erst fünfzehn, aber bei ihr habe ich das Gefühl, dass es vielleicht in eine geisteswissenschaftliche Richtung gehen könnte. Ihr Plan ist momentan allerdings noch ein anderer: Sie möchte einen Buchladen aufmachen mit einem daran angeschlossenen Café – und Katzen. In jedem Fall hat sie für sich schon geklärt, dass sie nicht dasselbe machen will wie ich. Ich finde auch, dass zwei Romanisten-Generationen reichen (lacht).

Sie forschen vor allem zu französischsprachiger Literatur, die sich mit dem Thema Migration auseinandersetzt. Woher kommt Ihr Interesse?

Wie ich schon sagte, waren wir in Algerien, als mein Bruder und ich noch Kinder waren; dort war meine Mutter DAAD-Lektorin. Mein Vater hat während unseres Aufenthalts ein Buch über Aimé Césaire geschrieben. Damit war der postkoloniale Kontext, ohne dass die Vokabel damals zirkulierte, sehr präsent. Ich habe mich für diese Texte interessiert, wollte aber nicht zu einem Themengebiet arbeiten, in dem es so starke Überschneidungen mit der Arbeit meiner Eltern gegeben hätte. Um nicht in der Domäne meiner Eltern zu landen, habe ich mich dann mit der aus der Migration hervorgegangenen Literatur beschäftigt.  

Dazu haben Sie auf den russischen Literaturwissenschaftler Juri Lotman zurückgegriffen, womit sich der Kreis zwischen Slawistik und Romanistik schließt.

Genau. Für mich war die Entdeckung der Kultursemiotik Lotmans, die ich meinem Mann zu verdanken hatte, eine echte Erleuchtung.

Wie sah die Romanistiklandschaft zu Beginn Ihres Eintritts in das wissenschaftliche Feld aus?

In Konstanz, wo ich mein Studium abgeschlossen habe, promoviert wurde und mich habilitiert habe, war Karlheinz Stierle in der Romanistik eine sehr prägende Figur. Die allgemein literaturwissenschaftliche und komparatistische Orientierung der Uni Konstanz hat mich sehr stark geprägt. Für mich persönlich eindrucksvoll war die Slavistin Renate Lachmann. Ich habe sie damals als eine Professorin erlebt, die ungemein intelligent, sehr streng war, und einfach alles gelesen hatte. Ihr Ziel war es, die Leute für die Texte und für ihre Lektüren der Texte zu begeistern bzw. sie mit ihnen zu diskutieren, sie war darin wirklich mitreißend. So hat sie es auch geschafft, ihre komparatistischen Seminare zufüllen. Die Leute kamen tatsächlich sehr zahlreich, was damals schon nicht mehr selbstverständlich war.

Kommen wir zur französischen Gegenwartsliteratur. Machen Sie gewisse Trends aus?

In der französischen Gegenwartsliteratur, weniger in der frankophonen Literatur, finde ich den Trend zum Dokufiktionalen sehr auffällig. Er hält sich bestimmt schon seit zehn, fünfzehn Jahren. Aus meiner Perspektive ist es durchaus überraschend, wenn manchmal behauptet wird, diesen Trend würde es in analoger Weise nicht in den sogenannten frankophonen Literaturen geben. Oft wird dann etwas pauschal gesagt, die frankophonen Literaturen könnten noch erzählen, während der französischen Literatur die erzählerische Kraft ausgegangen sei. Diese etwas schiefe Dichotomie scheint mir nicht unbedingt hilfreich.

Wir beschäftigen uns vor allem mit soziologisch inspirierten Autofiktionen, d.h. genauer mit dem Genre der Autosoziographie. Wie würden Sie die Dokufiktion von der Autofiktion abgrenzen?

Die Demarkationslinie verläuft, denke ich, beim Verhältnis zur eigenen Biographie. Darauf weisen die Begriffe Auto- und Dokufiktion bereits hin. Bei der Dokufiktion geht es ja meist nicht oder zumindest nicht zentral um die Leute selber. Das „Ich“ des Autors kommt eher auf der Meta-Ebene zurück, zum Beispiel in Form eines Ermittlers oder einer Ermittlerin, die Recherchen anstellt, um über eine andere Person oder eine Personengruppe zu schreiben. Diese starke Präsenz eines „Ich“ beobachte ich vor allem bei männlichen Autoren. Denken Sie beispielsweise an Emmanuel Carrère. In seinem neuesten Buch V13 schreibt er über den Prozess zu den Terroranschlägen des 13. November 2015 in Paris, den er als Gerichtsreporter für die Öffentlichkeit begleitet hat. Ich finde seinen Text über Opfer und Täter sehr gelungen, weil es ihm wirklich um die Täter, die Opfer und ihre Familien geht. Er will sie verstehen, er möchte daraus einen „récit collectif“ machen, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der durch die Attentate erschüttert wurde, stärkt. Die Dokufiktionen von Schriftstellerinnen funktionieren meiner Beobachtung nach tendenziell anders. Hélène Gaudy hat beispielsweise mit Uneîle une forteresse einen sehr gelungenen Text über Theresienstadt geschrieben, in dem sie selbst sich allerdings sehr zurücknimmt, so wie es auch Olivia Rosenthal in ihren Texten macht – für beide spielt sicher das Vorbild von Swetlana Alexijewitsch eine gewichtige Rolle.

Die Autosoziobiographien von Ernaux, Eribon und Louis sind im literarischen Feldsehr erfolgreich. Wie bewerten Sie diesen Boom?

Die Frage, diesich mir hauptsächlich bei den Autosoziobiographien stellt, ist die danach, obdas Ganze tatsächlich so neu ist. Ganz viel von dem, was heute als originell,als Neuheit verkauft wird, hat die frühe sogenannte Migrationsliteratur seitden 1980er Jahren schon gemacht, parallel zu Ernaux gewissermaßen.Schriftsteller wie Azouz Begag oder Mehdi Charef haben ihre eigene Biografieals in gewisser Weise exemplarisch für bestimmte Lebensläufe exponiert.Meistens waren es Lebensläufe von Leuten aus der Arbeiterschaft, aus eher bescheidenenMilieus. Sie haben sich durch Bildung hochgearbeitet. Diese Texte funktionierennach einem sehr ähnlichen Modell wie die späteren Autosoziobiographien.

Schildern diese Autoren ihre Werdegänge denn auch unter Rekurs auf die Soziologie?

Jein. Azouz Begag beispielsweise ist Soziologe am CNRS. Als Migrationswissenschaftler hat er neben literarischen Texten auch soziologische Studien geschrieben. Es gibt also eine ganz enge Verschränkung zwischen dem, was er in der Forschung und dem, was er in der Literatur gemacht hat, ohne dass er in seinen literarischen Texten etwa Bourdieu zitieren würde, auch wenn das für ihn kein großer Schritt gewesen wäre.

Worin gründet Ihrer Auffassung nach der Erfolg der Autosoziobiographien?

Das lässt sich sicherlich nicht auf eine Ursache zurückführen, aber mir scheint die Authentizität ausschlaggebend zu sein. Je authentischer über das eigene Leben geschrieben wird, desto erfolgreicher sind die Bücher. Da war Annie Ernaux wegweisend, auch wenn für sie der Erfolg erst später kam.

In der Tat betont insbesondere Eribon bei seinen öffentlichen Auftritten immer wieder, wie wichtig die Nobelpreisträgerin Ernaux für ihn gewesen sei.

Eribon hat einmal gesagt, er schreibe mit einem Stapel Bücher von Ernaux auf dem Schreibtisch. Da ist sicher auch einiges an Schmeichelei dabei. Denn vielfach wird sie in solchen Situationen nur zitiert, um damit zu sagen: Sie ist die Vergangenheit. Eribon und Louis sind, ihrem Selbstbild gemäß, die Zukunft.

Wir haben den Eindruck, dass die Autosoziobiographien von Eribon und Louis auch so erfolgreich sind, weil es sehr laute Stimmen sind, die für diejenigen schreiben, die keine Stimme haben.

Sie beharren zumindest darauf, sich zum Sprachrohr für diejenigen zu machen, die selbst nicht sprechen können – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Da denke ich vor allem an Louis‘ Qui a tué mon père (2018). Allerdings sollte man sich dabei erstens fragen, ob sie als solches auch anerkannt werden, und zweitens aufgrund welcher Kompetenz sie diese Rolle für sich in Anspruch nehmen – und welches Bild der Gruppe, für die sie sprechen, sie entwerfen.

Eribon und Louis sind immerhin Soziologen.

Die in den Soziologie-Diskursen in Frankreich aber keine Rolle spielen. Außerdem schreiben sie nicht als Soziologen, auch wenn sie an Bourdieus Theorien soziologisch geschult sein mögen. Deswegen ist es durchaus überraschend, dass ihre Texte in Deutschland so ein großes Publikum gefunden haben, dass sie sicherlich nicht als Soziologen rezipiert.

Machen sich Eribon und Louis denn Ihrer Auffassung nach zum Sprachrohr derjenigen, die keine Stimme haben?

Es sind zum Teil sehr herablassende Perspektiven auf die Leute aus den classes populaires. Das habe ich bereits bei Retour à Reims (2009) von Eribon so wahrgenommen. Seine Brüder seien allesamt unterbelichtet, wie Eribon nicht müde wird zu betonen, wählen das Falsche, haben sich alle für die falschen Familienmodelle entschieden und sind ohnehin durchweg homophobe Rassisten. Wennich der Arbeiterklasse entstammen würde, weiß ich nicht, ob ich wollte, dass so über mich geredet wird. Diese despektierliche Betrachtungsweise setzt sich auch in Eribons neustem Buch über seine Mutter fort, ohne dabei groß Neues zuliefern.

Eribon und Louis, so könnte man schließen, legitimieren damit die eigene Aufstiegsgeschichte: Seht her, ich bin nicht so wie das Milieu, in dem ich geboren wurde. Weil ich nicht so bin, habe ich es herausgeschafft.

Sie sind die Ausnahmen, die nicht nur die Regel, sondern auch den eigenen Narzissmus bestätigen.

Sind die Autosoziobiographien auserzählt?

Das glaube ich nicht. Édouard Louis kann sicher noch eine Weile funktionieren, wenn er so weitermacht. Er hat ja noch ein paar Geschwister, über die er schreiben könnte. Er kann sozusagen andere Figuren aus dem Kosmos herausschälen, den er schon erzählt hat.

Und was kommt dann?

Niemand kann wissen, ob Eribon und Louis die dominierenden Figuren der Autosoziobiographie bleiben werden. Gender und Race spielen bei ihnen kaum eine Rolle, obwohl es über diese Kategorien noch eine Menge zu sagen gäbe.

Kommen wir zu unserem letzten Fragebereich zur Lage der Romanistik. Was hat sich seit Ihrer eigenen Studienzeit geändert?

Als ich an meiner Promotion gearbeitet habe, kam in Konstanz die Phase, in der die Zahl der Spanischstudierenden stark angestiegen ist. Das hat sich hier in Mannheim allerdings inzwischen eingependelt, sodass es heute nicht sehr viel mehr Studierende gibt, die sich für Spanisch einschreiben als für Französisch.

Corona hat bei uns an der RPTU in Landau die Zahl der Einschreibungen einbrechen lassen, wovon wir uns langsam aber sicher erholen. Wie ist das bei Ihnen in Mannheim?

Ähnlich. Das höre ich übrigens von vielen Unis und das betrifft nicht nur die Romanistik, sondern generell die geisteswissenschaftlichen Fächer – aber auch die anderen Fakultäten haben mit einem Rückgang der Studierendenzahlen zu kämpfen.

Ist der Rückgang der Studierenden ein Grund dafür, pessimistisch auf die Zukunft der Romanistik zu blicken?

Das würde ich nicht sagen. Die Stärke der Romanistik liegt darin, dass sie im Unterschied zu anderen Philologien seit langem sehr offen ist für neue Gegenstände, für Film, für Comics, für alle Arten von anderen Medien. Sie ist also medial weit aufgefächert. Das wird, so hoffe ich, wiederum Studierende anlocken. Dazu müssen wir ihnen natürlich auch Themen bieten, die sie interessieren. Da sehe ich die Romanistik auf einem guten Weg: So werden beispielsweise vermehrt feministische und queere Themen unterrichtet. Ich habe außerdem das Gefühl, dass die Romanistik in Deutschland im Unterschied zu Frankreich schon näher am Zahn der Zeit ist, sei es hinsichtlich der Écocritique oder den Digital Humanities. Zudem wird Data Science momentan hochschulpolitisch sehr gepusht und ist auch in der Romanistik auf dem Vormarsch.

À propos Zukunft: Wir haben den Eindruck, dass englischsprachige Publikationen immer wichtiger werden. Nehmen Sie das auch so wahr?

Ja. RomanistischeAufsätze in deutscher Sprache kann man gleich im Heizungskeller aushängen, siefinden international wenig bis keine Resonanz. Und das ist traurig. AufEnglisch zu publizieren ist natürlich per se nicht schlecht. Es gibt viel mehr Zeitschriften, wahrscheinlich auch etabliertere Peer-Review-Verfahren. Das macht die Aufsätze aber nicht per se besser und es hat desaströse Auswirkungen auf die Zeitschriftenlandschaft in Deutschland und vermutlich auch in anderen nicht-englischsprachigen europäischen Ländern. Außerdem scheint es mir nicht immer unbedingt sinnvoll, in einer Sprache zu schreiben, die weder die eigene Muttersprache noch die zentrale Arbeitssprache des eigenen Fachs ist – auch wenn ich es selbst in letzter Zeit öfter getan habe.

Was empfehlen Sie also dem wissenschaftlichen Nachwuchs?

Mein erster Tipp ist, sich nicht allzu sehr davon irritieren lassen, was die anderen machen. Das Schlimmste ist, sich dauernd zu vergleichen, unausgesetzt im Wettbewerb zu stehen. Sie müssen bis zu einem gewissen Grad Scheuklappen aufsetzen, bei sich selbst bleiben und nicht links und rechts schauen, wer wie viele Vorträge hält, wer wie viele Aufsätze schreibt und wer wie viele Drittmittel eingeworben hat. Und ich empfehle Ihnen, nett zueinander zu sein. Ich habe selbst erlebt, wie häufig die Ellbogen untereinander ausgefahren werden, und das muss nicht sein, auch wenn die Stellen umkämpft sind.

Also Kooperationstatt Konkurrenz?

Genau.

Was ist in dieser Karrierephase wichtiger: dem Herzen folgen oder strategisch denken?

Bei der Dissertation sollte man auf jeden Fall seinem Herzen folgen, denn mit einem solchen Projekt verbringt man mindestens zwei sehr intensive Jahre. Zur Habilitation gehören strategische Überlegungen dazu. Man muss sich wichtige Fragen stellen, wenn man in der Forschung Karriere machen möchte: Wechsle ich die Sprache? Wechsle ich das Jahrhundert und die Gattung? Ich habe damals überhaupt nicht strategisch gedacht, sondern zu dem gearbeitet, was mich persönlich interessiert hat. Meine Qualifikationsschriften entstanden aus dem Versuch, meine Studienfächer miteinander zu verknüpfen. Ich habe versucht, Französisch und Russisch zu verbinden. Das hat glücklicherweise funktioniert.

Frau Ruhe, wirdanken Ihnen herzlich für das Gespräch.

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